Einst wollte ein armer Bursche namens Heinrich aus Welsleben gar zu gerne ein Baumeister werden. Als ein berühmter Meister in der Gegend einen tüchtigen Lehrling suchte, legte die Muhme Trine, Heinrichs Pflegemutter, ein gutes Wort bei ihm ein. Der Meister war nicht abgeneigt, ihren Pflegling bei sich aufzunehmen. Heinrich war ein gelehriger Bursche. Allerorts wurde er gelobt, und als sein Meister ihm nichts Neues mehr beibringen konnte, packte er sein Felleisen und zog weiter. Er machte bei einem Köhler Rast und erfuhr, dass man in Aschersleben tüchtige Bauleute suche, da man an einem Gotteshaus baute. "Also", so meinte der Köhler, "meide am Wege nach Aschersleben die Höhle, die eine Meile vor Aschersleben im Tale der Eine liegt. Dort haust ein Mann, der mit dem Teufel im Bunde steht!" Obwohl Heinrich also gewarnt, zog es ihn doch unwiderstehlich zu jener Höhle hin. Plötzlich stand ein Mann mit kohlschwarzem Haar und unstetem Blick vor ihm. Nach einer Weile des Schweigens lud der Unheimliche den Wanderer ein, mit ihm in die Höhle zu gehen. Heinrich folgte neugierig. Da öffnete sich eine Pforte in der hinteren Wand der Höhle und großer Reichtum bot sich dar. "Höre", sprach der Unheimliche, "dieser Reichtum ist dein, wenn du mir in zwölf aufeinander folgenden Jahre jeweils in der Johannisnacht geweihtes Wasser in einem irdenen Krug vor diese Höhle stellst. Versäumst du aber deine Pflicht, so wird der Reichtum vergehen, und du wirst unstet auf Erden sein!" Damit übergab der Fremde Heinrich einen Beutel, aus dem unaufhörlich Reichtum floss. Heinrich baute die Heinrichsburg und lebte glücklich und zufrieden. Nie vergaß er, dem Fremden in der Johannisnacht den Krug mit geweihtem Wasser vor die Höhle zu stellen. So war es schon zehn Jahre lang gegangen. Im elften Jahr freite Heinrich ein wunderschönes Weib. Über die schönen Augen der neuen Burgherrin vergaß Heinrich in der Johannisnacht sein Versprechen. Obwohl Heinrich gleich am nächsten Tag zur Höhle eilte, war es vorbei mit seinem Glück. Die Burgherrin starb, die Quelle seines Reichtums versiegte. Heinrich wurde ein Raubritter. Einmal erschlug er bei einem Raubzug einen der vorbeiziehenden Kaufleute. An der Stelle, wo er begraben liegt, wachsen seither rote Blutnelken. Die Heinrichsburg ist längst zerfallen. Aber bisweilen sieht man an der Stelle, wo sie einst stand, in der Johannisnacht einen Mann mit so unstetem Blick, der pflückt rote Blutnelken, trocknet sie und verkauft sie als Heilmittel gegen Geiz, Habsucht und Unverlässlichkeit.